Letzte Woche hatten die Kids vom Kinderheim Ferien, alle haben sich schon lange darauf gefreut, von den Verwandten bzw. Guardians abgeholt zu werden und ein paar Tage "zu Hause" zu verbringen. Ich dachte zuerst, es wird ein ganz schwieriger Tag werden, aber als ich ankam, waren die Kinder total aufgeregt, schluepften in ihr bestes Gewand und warteten. Wir haben ueber den ganzen Tag KEIN EINZIGES SPIEL gemacht, es war einfach unmoeglich, alle sassen aufgeregt rum, oder liefen von einem Zimer ins andere. Halua meinte zu Auntie Faith: "Ich freu mich auf den Besuch, aber ich werde auf jeden Fall wieder 'nach Hause' kommen!" Das Kinderheim ist seit Anfang Mai endlich ein richtiges Zuhause geworden, Faith war total geruehrt. Frueher (zugegeben auch jetzt noch manchmal) weinten die Kids, weil sie hier sein mussten, heute weinten sie, weil sie weg "mussten"! Fatuma war besorgt, dass sie keiner holen wuerde, sie wurde dezent nervoes, als bis 3 pm noch immer niemand gekommen war, schlussendlich waren bis 4 pm alle Angehoerigen da, um unsere Kinder abzuholen.
Ihr haettet 'Auntie Faiths' Gesicht sehen sollen, als Halua als Letzte das Kinderheim verliess! FREIHEIT! Ihre ersten freien Tage seit Mai! Mit breitem Grinsen im Gesicht ging sie erst mal duschen, ich liess sie allein, wir trafen uns ja noch spaeter am Abend zum Fortgehen! Faith ist ja selbst erst 23 und von ihr ist eine unglaubliche Last von den Schultern gefallen, die Verantwortung, die sie tragen muss, 24h fuer die Kinder da zu sein als Mama, Koechin, Putzfrau. Sie verdient meinen tiefsten Respekt hier! Aber jetzt hat sie Urlaub und das muss auch gefeiert werden!
Im Laufe der Woche haben Jacque, Faith, Carter (ein guter Freund, der sehr viel mithilft im Kinderheim) und ich geplant, die Kids zuhause zu besuchen, um zu erfahren, wie sie leben, wie die Verhaeltnisse wirklich sind und ob es ueberhaupt notwendig ist, dass die Kids im Heim sind (natuerlich wollen wir keins unserer Schuetzlinge mehr hergeben, aber wenn wirklich getrickst wird, kann man das auch hier nicht tolerieren!). Normalerweise werden solche Besuche durchgefuehrt, bevor ein Kind aufgenommen wird. Warum das allerdings vorher nicht wirklich passiert ist, weiss ich selbst nicht, vermutlich die Zeit bzw. der Drang, schnell zu helfen, wo Hilfe (vermutlich) benoetigt wird.
Montags fuhren Jacque und Co nach Kilifi zu Mohammed und Riziki nach Hause, ich war leider nicht dabei, weil sie schon morgens losstarteten und ich ja in der Schule arbeitete. Zum Nachkommen am Nachmittag fehlte mir dann auch zugegeben die Motivation, so ist man schon locker eine Stunde unterwegs mit dem Matatu und dann stehe ich in Kilifi rum und weiss nicht wohin...nein danke.
Ich habs aber total bereut, nicht doch gekommen zu sein. Jacque und Faith haben mir fuer mich Unglaubliches erzaehlt: Mohammed und Rizikis Verwandte leben in einem Lehmhuettendorf, die beiden haben unglaublich viel erzaehlt von mir, sodass die Verwandten zuerst fragten, wo denn der Mzungu sei! Es wurde viel geredet, viel gefragt, anschliessend ein Huhn geschlachtet und zubereitet!!! Am Ende bekamen sie noch Kokosnuesse und eine Zuckerrohrstange FUER MICH mit! Vielleicht versteht ihr jetzt, warum ich bereue, das verpasst zu haben, aber die naechsten Tage waren nicht weniger unspannend:
Wir fuhren aus Bodas gemeinsam zu Delmas und Fatuma nach Hause, auch in ein kleines Dorf am Land. Kein Strom, kein Wasser, nur ein paar Lehmhuetten und viele Ziegen und Huehner. Hier findet man das typische Bild von Afrika, welches wir Europaeer aus dem Fernsehen kennen: Hungernde Kinder vor Lehmhuetten, Affen, unglaubliche Hitze und viele grosse Augen, die einem angucken. Ich weiss natuerlich, dass so etwas existiert, auch hier in Afrika habe ich schon viele solcher Doerfer gesehen, wenn ich z.B. in die Special School fahre, komme ich durch so ein Dorf, aber so richtig mittendrin gestanden, bin ich noch nie. Und wenn man dann noch den Geschichten der Frauen zuhoert, wie sie mit den Kindern leben, wenn einem langsam wirklich bewusst wird, dass in diesen Huetten wirklich Menschen leben, das ist einfach unglaublich, dieses Gefuehl, was ich in diesen Doerfern hatte, kann man nicht in Worte fassen!
Delmas' Angehoerige ist eine sehr alte Frau, die Grossmutter, niemand weiss, wie alt sie ist. Wir versuchen das Alter ungefaehr herauszukriegen, versuchen ihr Erinnerungen von bedeutenden Ereignissen hier zu entlocken. Angeblich kann sie sich an den ersten Weltkrieg erinnern, was ich persoenlich fuer sehr unwahrscheinlich halte. Schlussendlich schaetzen wir sie zwischen 80 und 90 Jahren! Diese Frau spricht kaum, versteht einem kaum, sitzt den ganzen Tag nur noch rum. Das ist die erste Ansprechsperson von Delmas. Uns wundert nicht mehr, dass er viel weint, wenig spricht, sich oft in die Hosen macht, diejenige, die ihm die grundlegenden Verhaltensweisen im Leben beibringen soll, ist selber pflegebeduerftig, wird selber wie ein Kleinkind behandelt. Natuerlich kuemmern sich andere Dorfmitglieder auch um Delmas, aber die eigentliche Obhut uebernimmt die Grossmutter.
Carter uebersetzt fuer mich. Delmas ist fertig mit den Nerven. |
Jacque bedankt sich fuer die Gastfreundschaft. |
Bei Fatuma schaut es ganz anders aus. Ihre Mutter ist 30 Jahre alt, sie hat 8 Kinder, die aelteste Tochter ist 18, und erklaert uns, dass Schulbildung nicht so wichtig sei. Wenn man sich Fatumas Geschwister naeher anguckt, moechte man sie fast alle mit ins Kinderheim nehmen. 9 Personen teilen sich hier ein Bett in einer kleinen Lehmhuette, wenn die Sonne scheint, sind die Kinder draussen. Ich versuche, alle Kinder, die uns beobachten zu zaehlen, 6 davon sehen fast gleich aus wie Fatuma, direkt gruslig, ansonsten schwirren noch locker 30 Kids von den Nachbarhaeusern herum. Ernaehrt wird die Familie durch Mais, der gerade im Hof trocknet und spaeter weiterverarbeitet werden soll. Die Aufgabe der Kinder ist es, die Kraehen und Huehner davon fernzuhalten. Jacque stellt Fragen ueber Fatuma und ihr Leben hier an die Mutter und die aelteste Tochter, muss die beiden getrennt befragen, weil das Gespraech nicht vorankommt. Sie hat noch eine Schwester, die seit Monaten nicht mehr spricht. Grundsaetzlich ist hier im Dorf viel los, es waere sicher ein Ort fuer eine coole Kindheit mit vielen Gleichaltrigen, wenn die Armut nicht so gross waere. Wie es hier abgeht, wenn Regenzeit ist, will ich auch nicht wissen!
Eine Huette fuer 9 Personen. |
Ein Bett fuer 9 Personen. |
Nach einer Stunde fahren wir weiter zu Halua und Mariam: Erstere lebt bei ihrer Tante in einer kleinen Huette aus Stein mit Wellblechdach, gemeinsam mit 4 anderen Kindern. Ihr geht es wohl verhaeltnismaessig am besten, die Tante kann Milch und Kohle verkaufen, aber fragt mich nicht, wo sie beides her hat. Dennoch entdecke ich wieder nur ein Bett fuer alle. Mariams Mutter laesst uns erst gar nicht in das Haus (wieder eine Lehmhuette), sie erzaehlt uns von Mariams Vater, der blind war, er hat gebettelt, sie hat ihm dabei begleitet. Als er starb, hat die Mutter "das Geschaeft uebernommen". Sie traut sich nicht, die Schwiegermutter um Hilfe zu bitten, weil sie eine Hexe ist (hier glaubt ein nicht unbedeutender Teil der Bevoelkerung an die Witchcraft, es sind auch taeglich Faelle davon, also ploetzliche Todesfaelle nach kurzen Krankheiten, von verfluchten Gegenstaenden, von Giften und Ritualen usw in den serioesen Nachrichten!), sie selbst ist seit einigen Jahren deshalb HIV-positiv. Mariam hat viele Narben an den Beinen, die Mutter gibt zu, dass das an der Taetigkeit von Mariam liegt: Essen beschaffen. Alles weitere sind unsere eigenen Spekulationen, die hier nicht hingehoeren! Mariam hat auch noch einige juengere Geschwister, die Huette ist klein. Die Grossmutter ruft uns nach dem Gespraech nochmal zu sich, sie traut der eigenen Tochter nicht und erzaehlt und das selbe nochmal in einem anderen afrikanischen Dialekt, den die meisten hier nicht verstehen, auch die Tochter nicht.
Haluas Zuhause. |
Bei Mariam daheim. |
Am Ende waren wir noch bei Meris daheim. Sie lebt mit ihrer Mutter, dem Vater, der zweiten Frau des Vaters und 3 Geschwistern in einem winzigen Raum in einem festen Appartement. Das Gespraech verlaeuft gut, wir bekommen viele Infos. Aber bereit einen Tag spaeter, als ich vom Strand nach Hause komme, sitzt Meris im Wohnzimmer von Jacque, der Vater war angepisst (vl. von unserem Besuch?) und hat sie und ihre Mutter hinausgeworfen, die Mutter ist irgendwo, die Kleine kam fuer ein paar Stunden bei Nachbarn unter, die dann Jacque angerufen hat, damit das Kind wieder ins Heim kommen kann. Meris hat gar nicht begriffen, was mit ihr passiert ist, sie spielt vergnuegt mit einem Gummiball, waehrend wir abendessen!
Kadzo konnten wir nicht besuchen, sie wohnt zu weit weg, die Hinreise zu ihr waere sehr teuer, ich habe ihr die Heimreise und Rueckkehr zum Heim finanziert, sie hat ihre Eltern seit Mai nicht mehr gesehen. Ich wollte euch meine Eindruecke von diesen Besuchen schildern, ich habe an diesen Tagen viel dazugelernt. Wir koennen uns so unglaublich gluecklich schaetzen, es ist wirklich nicht zu begreifen, wie so ein Leben, wie es hier teils ganz normal erscheint, ueberhaupt moeglich ist. Die Kids sind jetzt seit Donnerstag alle wieder im Kinderheim, die meisten scheinen gluecklich hier zu sein, ich kann mir jetzt auch besser vorstellen, warum.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen